Viele Unternehmen verfügen verwunderlicherweise über keinen eigenen Vertrieb, auch wenn diese oftmals mehrere Hundert Mitarbeiter haben. Ich persönlich durfte mit Geschäftsführern aus der Schweiz und Indien zusammenarbeiten, die solche Unternehmen führen. Die Frage die mich also seit dem beschäftigt ist: Wie schaffen es diese Unternehmen ihre Mitarbeiter auszulasten ohne Vertrieb zu machen? Besonders für jemanden der überwiegend im Verkauf gearbeitet hat ist das schwer zu begreifen. Dieser Artikel soll Antworten auf diese Frage geben.
Kunden kaufen immer wieder, aufgrund guter Leistungen
Ein Grund den ich in Erfahrung bringen konnte, wie man Vertrieb vermeidet, ist, in dem man seinen jetzigen Kunden sehr gute Leistungen erbringt (eine sehr einfache Erkenntnis, die jedoch von den wenigsten Unternehmen beachtet wird). Das hat zwei positive Effekte:
1) Die Kunden bleiben Kunden
Durch die guten Erfahrung des Kunden wird er sich nicht nach anderen Anbietern umschauen. Das hilft ungemein den Vertriebsaufwand zu verringern, da der Aufwand einen neuen Kunden sehr viel höher ist als einen bestehenden zu halten.
2) Die Kunden kaufen im Zeitverlauf immer mehr
Am Anfang einer Geschäftsbeziehung ist sich der Kunde über die Seriösität, die Ehrlichkeit und die Qualität des Anbieters sehr unsicher. Zu viele negative Erfahrungen wurden gemacht. Nach den ersten drei, vier Projekten hochwertiger Leistungserbringung haben die Kunden Vertrauen gefunden und fangen erst jetzt an grössere Projekte an den Anbieter zu vergeben. Würde man den Kunden in der Anlaufphase verlieren, verliert man hiermit auch die sicheren grösseren Projekte.
Wenn Kunden ständig in der Anfangsphase verloren gehen, dann entstehen keine starken Synergieeffekte für beide Seiten. Zudem steigt der Vertriebsaufwand in das Unermessliche, da man mit jedem Kunden nur zwei bis drei Projekte realisiert und man wieder darauf angewiesen ist Neukunden zu gewinnen.
Kundenempfehlungen
Ein weiterer Grund warum einige Unternehmen mit mehreren Hundert von Angestellten keinen Vertrieb machen ist, dass sie von Ihren Kunden an andere potenzielle Kunden empfohlen werden. Auch dieser Effekt wird umso intensiver, wenn die bisherigen Kundenbeziehungen und die Qualität der Dienstleistung konstant hoch bleibt. Denn nur dann ist sich der Kunde sicher, seine eigene Reputation für den Anbieter aufs Spiel zu setzen.
Interessant sind auch die Anfänge der mittelständischen Unternehmen die wenig oder gar keinen Vertrieb machen. Oftmals haben sie, zum Start ihrer Unternehmung, eine Person kennengelernt die ein grosses Netzwerk an potenziellen Kunden kannte. Nach der Erledigung der ersten Projekte wurden immer mehr Personen aus diesem Netzwerk angesprochen. Auch diese Personen aus dem Netzwerk gaben Empfehlungen über den Dienstleister an ihr eigenes Netzwerk weiter.
Mit kleinen Projektvolumen anfangen
Vertrauen entsteht nicht von alleine, es muss erarbeitet werden. Um dieses Vertrauen zu erarbeiten eignen sich kleinere Projekte.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die indische Softwareindustrie. In den neunziger Jahren wurden die ersten kleinen Softwareprojekte nach Indien ausgelagert. Die Skepsis war gross und die Bereitschaft Projekte auszulagern war gering (Ist das nicht das Land mit der Armut und den Schlangenbeschwörern?). In den ersten Jahren waren die meisten Projekte im Rahmen von einigen Tausend Dollar (Dollar, da hauptsächlich Dienstleistungen für die USA erbracht wurden). Über die Jahre wurde ein starkes Vertrauen in die Fähigkeiten der indischen Dienstleister gewonnen. Seit etwa Mitte des letzten Jahrzehnts ist es nicht mehr unüblich von Outsourcing-Projekten, in Höhe von mehreren Hundert Millionen Dollar, zu hören. Diese Mega Deals sind nur möglich geworden durch die anfängliche Arbeit im Kleinstbereich. Ein gutes Buch in dem diese Entwicklung beschrieben ist, ist das Buch “Offshore: How India Got Back on the Global Business Map” von Gaurav Rastogi und Basab Pradhan.
Die meisten Kunden werden vom Geschäftsführer selbst betreut
Ein weiterer interessanter Punkt bei den Mittelständlern ohne Vertrieb ist, das die meisten Kunden direkt vom Geschäftsführer betreut werden. Oftmals wird ein einziger Vertriebsmann eingestellt, jedoch wird dieser nur teilweise involviert, der Kundenkontakt wird jedoch hauptsächlich vom Inhaber selbst gehandhabt. Auch dies stellt sicher das die Kundenbedürfnisse und die Unternehmensausrichtung stimmig sind und bei Fehlentwicklungen schnell entgegen gewirkt werden kann.
Die Mitarbeiter sind die Verkäufer
Diesen Effekt konnten wir in unseren Gesprächen nicht wirklich messen. Jedoch wurde von einigen Mittelständlern bemerkt das die Mitarbeiter als Verkäufer wirkten. Die Mitarbeiter waren kompetent genug den Kunden als Berater zur Seite zu stehen. Da die Kunden das Unternehmen und die Berater als vertrauenswürdig einstuften wurden Aufträge, über die Mitarbeiter an das Unternehmen, weitergegeben.
Abrechnungsmethode
Auch hier gibt es einen Unterschied zu den herkömmlichen Abrechnungsmethoden. Da wir hauptsächlich mit Mittelständlern aus dem IT Bereich zu tun hatten ist dies das sogenannte Time & Material (T&M) Abrechnungsmodell. Im T&M Modell vergibt der Auftraggeber eine oder mehrere Aufgaben an das Entwicklungsunternehmen und bekommt die Rechnung erst nach getaner Arbeit. Nicht nur das, der Auftragnehmer (Dienstleister) und deren Mitarbeiter entscheiden darüber wieviel Zeit und Material (andere Betriebskosten) für die gestellte Aufgabe verwendet werden soll. Dies benötigt ein grosses Vertrauen seitens des Auftraggebers, da er sich sicher sein muss das der Dienstleister eine ehrliche Abrechnung erstellt die mit dem Aufwand übereinstimmt.
Wenn die Abrechnungen auch ehrlich erstellt werden, dann steigert dies das Vertrauen in den Dienstleister ungemein. Es ist ein Meilenstein für eine lange Kundenbeziehung.
Hintergrund zur Untersuchung/ Datenbasis
In unserer Untersuchung waren 4 Unternehmen, jeweils ein Zahnspangenhersteller (ca. 500 Mitarbeiter), ein Offshore Softwaredienstleister (ca. 200 Mitarbeiter), ein Nearshore Softwaredienstleister (ca. 900 Mitarbeiter) und ein SAP Partnerunternehmen (ca. 500 Mitarbeiter) vertreten. Auskunftsgeber waren jeweils die Geschäftsführer der Unternehmen. Bei dem Nearshore Anbieter wurden Medienberichte über den Geschäftsführer als Informationsbasis verwendet.
Bemerkenswert ist das keines dieser Unternehmen einen professionellen Vertrieb (Definition professioneller Vertrieb: 2 und mehr festangestellte Vertriebsmitarbeiter) hat. Auch muss man erwähnen das alle diese 4 Unternehmen im Business2Business Bereich tätig sind.
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