Besonderheiten des indischen Bewerbers

Der Einstellungsprozess in Indien verläuft ähnlich zu dem im deutschsprachigen Raum. Dennoch bemerkt man einige Unterschiede.

Im Beitrag sind diese Unterschiede beschrieben.

Kommt üblicherweise zu spät zum Interview

In Deutschland beispielsweise ist es bereits ein Ausschlusskriterium, wenn man zu spät zum Bewerbungsgespräch kommt. Bereits eine Verspätung von einer Minute wird bereits als Desinteresse gewertet.

In Indien kommen die meisten Bewerber jedoch zirka 10 bis 15 Minuten zu spät zum Interview. Oder sie kommen sehr viel früher in das Büro als vereinbart.

Der Grund kann sicherlich auch in dem Mentalitätsunterschied gefunden werden: Der indische Bewerber plant seine Zeit so ein, dass er in etwa zur richtigen Zeit im Büro ankommt. Meistens kennt der Stellensuchende jedoch die genaue Adresse nicht und wird in einigen Fällen nach dem Büro suchen müssen.

Nicht nur das. In manchen Fällen gibt es auf den indischen Strassen Stau. Auch dies wird von den Bewerbern nicht mit einkalkuliert. So kommt der Bewerber meistens etwas später zum Interview.

Für jemanden aus dem deutschsprachigen Raum ist dies meist sehr irritierend, da man sich das nicht gewohnt ist.

Unser Tipp: Falls Sie aus Deutschland/ Österreich/ Schweiz an einem Interview mit einem indischen Bewerber teilnehmen. Holen Sie sich einen Kaffee, wenn der Kandidat zum Interview-Zeitpunkt noch nicht da ist. Der Kandidat wird in den meisten Fällen in den nächsten 15 Minuten da sein.

Sagt kurz vor dem Interview ab

Was auch oft vorkommt ist, dass ein Bewerber kurz vor dem Vorstellungsgespräch absagt. Hier schreibt der Kandidat dann meistens eine Email, eine oder zwei Stunden vor dem Interview und sagt ab.

Das ist natürlich sehr kurzfristig, denn die meisten Teilnehmer, besonders die aus dem deutschsprachigen Raum, haben sich die Zeit sicherlich dafür freigehalten.

Dr Grund ist oftmals nicht genau zu verstehen. Hier ein paar Möglichkeiten:

  1. Kein Interesse: Kandidat hat kein wirkliches Interesse an der Stelle und hatte nur aus Höflichkeit zugesagt.
  2. Zufrieden mit der derzeitigen Stelle: Manche Kandidaten merken, dass ihre derzeitige Stelle doch passend ist und bleiben dem Interview fern, da sie kein Wechsel-Interesse haben.
  3. Termin kommt dazwischen: In manchen Fällen kann jedoch auch aus guten Gründen abgesagt werden. Zum Beispiel wenn der Kandidat einen halben Tag Urlaub beansprucht hat und das Management bei der derzeitigen Firma den Mitarbeiter bittet trotzdem in das Büro zu kommen. Das wird der Kandidat dann jedoch auch in der Absage-Email auch so erwähnen.

So oder so, es ist immer unangenehm wenn der Bewerber kurz vor dem Interview absagt. Jedoch muss man damit bei einem indischen Bewerber rechnen.

Weibliche Bewerber

Bei weiblichen Bewerbern gibt es auch einige Besonderheiten.

Frauen haben in Indien einen grossen Hang zur Sicherheit. Während des Interviews werden bereits Zweifel seitens des weiblichen Kandidaten geäussert, weil sich dieser unsicher ist.

Oftmals melden sich weibliche Kandidaten nicht mehr, nachdem das Interview vorbei ist.

Das muss jedoch nicht immer so sein. Mann sollte aber auch hiermit rechnen und das in den Interviewfragen berücksichtigen.

Geben in manchen Fällen nur kurze Antworten

Im deutschsprachigen Raum gibt es das Verlangen nach langen Antworten. Kurze Antworten sind eher unerwünscht.

Die meisten Kandidaten in Indien geben jedoch sehr kurze Antworten.

Beispiel:

Frage: Wieviel Jahre Berufserfahrung haben Sie?

Antwort Kandidat: 7 Jahre.

Das ist eine sehr kurze Antwort. Im deutschsprachigen Raum erwartet man üblicherweise, dass der Kandidat einen langen Bericht über die Berufserfahrung und die Tätigkeiten gibt.

Unser Tipp: Offene Fragen stellen. Dass heisst, Fragen, welche nicht mit “Ja” oder “Nein” zu beantworten ist. Zudem kann man weiter nachbohren, wenn man mit der Antwort nicht zufrieden ist. Zum Beispiel “Welchen Tätigkeiten sind Sie in den 7 Jahren nachgegangen”?

Headset anstatt Lautsprecher

Das sprachliche Verständnis, ist unserer Erfahrung nach, gut. Es scheitert in vielen Fällen einfach nur an der Technik. Beispielsweise ist es besser ein Headset zu nutzen, um mit dem Kandidaten zu sprechen und auf den Lautsprecher im Laptop zu verzichten.

Besonders wenn zwei nicht-Muttersprachler im Englischen miteinander sprechen, kann es zu Kommunikationsschwierigkeiten kommen. Meistens liegt es jedoch daran, dass einzelne Wörter nicht gehört werden, weil man den Lautsprecher nutzt.

Unser Tipp: Nutzen Sie ein hochwertiges Headset, welches auch die kleinsten Geräusche aufnimmt.

Kandidat tritt die Stelle nicht an

In manchen Fällen sagt der Kandidat zu und sagt ein paar Tage vor Antritt zur Stelle ab.

Das ist natürlich äusserst unangenehm.

Hier ein paar mögliche Gründe:

  1. Zwischenzeitlich andere Stelle gefunden: Es kann sein dass der Kandidat gleichzeitig mehrere Interviews besucht und im ersten Schritt allen Stellen, welche er/ sie bekommt zusagt. Zum Beispiel bekommt er bei uns, am 1. März zugesagt, und am 15. März bekommt er eine weitere Stellenzusage, welche er auch annimmt. Nun wird er sich eventuell sehr spät entscheiden, welche Stelle er denn nun wirklich annimmt.
  2. Möchte derzeitige Stelle behalten: Der Bewerber war sich eventuell noch nicht sicher und entscheidet sich schlussendlich die derzeitige Stelle zu behalten.
  3. Gegenangebot beim derzeitigen Arbeitgeber: Oft kommt es vor, dass das Stellenangebot, als Verhandlungsbasis beim derzeitigen Arbeitgeber genutzt wird. Beispiel: Der Kandidat nimmt das Stellenangebot und geht zum Management bei der derzeitigen Firma und sagt “Schaut her, diese Firma ist bereit den Betrag XZ zu zahlen, ich würde gerne bei Euch bleiben, aber nur wenn ihr mein Gehalt diesem Betrag anpasst”. In einigen Fällen wird das Management zusagen.

Unsere Tipps:

  1. Kandidaten mit kurzer Kündigungsfrist bevorzugen: Kandidaten mit einer kurzen Kündigungsfrist von einem bis zwei Monaten werden eher unwahrscheinlich mehrere Stellenzusagen erhalten. Bei Kandidaten mit längeren Kündigungsfristen beim derzeitigen Arbeitgeber kann das schon anders aussehen. Wenn der Kandidat seine Stelle kündigt und es drei Monate dauert, bis er bei Ihnen anfängt. Dann kann es sein, dass er in diesen drei Monaten ein weiteres Angebot, von einem anderen Arbeitgeber erhält.
  2. Gutes Angebot: Wenn das Angebot welches Sie dem Kandidaten unterbreiten sehr viel höher ist als das beim derzeitigen Arbeitgeber, dann wird der Arbeitgeber das Angebot nicht “matchen” wollen. Weil das auch innerhalb der Firma keinen guten Eindruck machen würde.

Ablauf von indischen Einstellungsprozessen

Der indische Bewerber erwartet einen bestimmten Ablauf, wie ein Bewerbungsgespräch abläuft. Meistens wird der Bewerber misstrauisch, wenn man von diesem Ablauf abweicht.

Beispielsweise sollte man dem Kandidaten ausdrücklich klar machen, dass es einen Coding Test geben wird, wenn man denn so einen durchführen möchte. Dies erst während des Bewerbungsgesprächs zu erwähnen macht einen eher nicht so guten Eindruck.

Keine Antworten oder Unverständnis bei “weichen” Fragestellungen

Im deutschsprachigen Raum wird oft davon gesprochen “Das man den Kandidaten kennenlernen möchte. Wer ist diese Person?”.

In Indien ist das eher unüblich. Daher werden fast nie Fragen zu den Hobbies gestellt. Oder Fragen wie “Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?”.

Unser Tipp: Steigen Sie mit technischen Fragestellungen ein, wie zum Beispiel “Wieviel Jahre Erfahrung haben Sie mit PHP?”. Im weiteren Verlauf des Gesprächs kann man dem Kandidaten erklären, dass man in Deutschland/ Schweiz/ Österreich auch gerne mehr zur Person erfahren möchte und kann dann langsam anfangen solche “weicheren” Fragen zu stellen. Aber man sollte sich nicht zu viel von diesen Antworten erwarten, da der Kandidat in den meisten Fällen nicht darauf vorbereitet ist, solche Fragen gestellt zu bekommen.

Den “Nerd” gibt es zwar, er wird sich sich jedoch nicht als solcher im Bewerbungsgespräch Ausweisen

Man kann in einem Bewerbunggespräch im deutschsprachigen Raum relativ gut feststellen, ob sich das Gegenüber als “Nerd”, also als vollkommen Programmierbegeisterten ansieht. Meistens werden die Kandidaten im deutschsprachigen Raum angeben, dass diese in ihrer Freizeit “Hobby-Projekte” haben oder an Open-Source Projekten arbeiten.

In Indien wird man soetwas fast nie vorfinden. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine guten Programmierer gibt. Es heisst nur, dass sich niemand als “Nerd” ausweisen wird.

Besonders in asiatischen Ländern ist die soziale Verantwortung gegenüber der Familie sehr gross. Daher wird man in der Freizeit fast nie Hobby-Programmier-Projekten nachgehen, sondern für die Familie und deren Bedürfnissen da sein.

Es gibt jedoch sehr gute Programmierer in Indien. Oftmals kann man das im Bewerbunggespräch selbst nicht wirklich herausfinden. Die Einstellung zum Beruf kann man jedoch schon eher feststellen. Und die Einstellung (Englisch “Attitude”) zum Beruf kann einen grossen Unterschied machen, von einem guten zu einem mittelmässigen Bewerber.

Unser Tipp: In Indien gibt es viele gute Programmierer. Von zirka 100 Bewerbern sind 60 gute Entwickler und von diesen haben zirka 30 die richtige Einstellung zum Beruf. Mit richtiger Einstellung ist gemeint – ehrliche Arbeit, Integrität, Zuverlässigkeit, die richtige Arbeitsweise.

Fazit

Oftmals kann man, als Entwickler-suchender, aus dem deutschsprachsprachigen Raum, im Bewerbungsgespräch nicht wirklich wissen, wie gut ein Kandidat ist. In vielen Fällen muss man den Kandidaten erst einstellen, um dann herauszufinden wie gut der Entwickler denn wirklich ist.

Eine gute Vorselektierung durch den Dienstleister, das Bewerbunggespräch und auch ein möglicher Coding-Test, können die Chancen erhöhen, dass man den richtigen Kandidaten findet.

Spätestens nach der zweiten Einstellung sollte man ein Gefühl dafür bekommen, worauf es zu achten gilt.
Hier noch ein paar Indikatoren von guten Kandidaten:

  • Starke kommunikative Fähigkeiten: Der Kandidat kann sich gut ausdrücken.
  • Ist interessiert neues zu erlernen
  • Kennt sich mit den neuen Technologien aus: Kandidat bildet sich koninuierlich weiter.

Interessanter Links:
Businessknigge für Indien
Tipps für die Geschäftsreise nach Indien
Erfahrungen aus einem Grosskonzern

Bilder: Flickr.com/ Office of Governor/ Hillary


Der Autor: Sascha Thattil arbeitet bei YUHIRO und hilft Unternehmern und Unternehmen beim einfachen Aufbau von Programmier-Teams in Indien. YUHIRO ist ein deutsch-indisches Unternehmen welches IT Firmen, Agenturen und IT Abteilungen Softwareentwickler bereitstellt.

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