Wie funktioniert das Geschäftsmodell der indischen IT Unternehmen wie Infosys, Tata Consultancy Services, Wipro und Co.?

Was machen eigentlich Unternehmen wie Infosys, Tata Consultancy Services, Wipro, Mahindra Satyam, Cognizant und andere grosse indische IT Unternehmen?

Es wird hier viel gerätselt, weil es dazu oftmals nicht viel Online zu finden gibt. Hier ein paar Informationen wie deren Geschäftsmodell funktioniert.

Der Start

In den 80er und 90er Jahren stieg der Bedarf an IT Dienstleistungen in den USA stark an. Vor Ort in Amerika Leute zu finden, welche diese Programmier-Aufgaben erledigen konnten, gab es wenige.

Einer der ersten Unternehmen welches das Potenzial von indischen IT Experten erkannten war IBM (IBM beschäftigt heutzutage mehr Mitarbeiter, zirka 130’000, auf dem Subkontinent, als in den USA). Bereits im Jahr 1966 gab es Niederlassungen der Firma dort.

Einige dieser Unternehmungen sind zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Tata entstanden. Relativ zeitnah entstand danach auch die Tata Consultancy Services (im Jahr 1968).

Im Jahr 1981 entstand Infosys. Gegründet von sieben Softwareprogrammierern.

Auch Wipro stieg 1981 in das IT Geschäft ein. Wobei Wipro auch einem Konglomerat wie Tata angehört.

Offshore Outsourcing = Indien + USA

Was vielen nicht wirklich auffällt ist, dass es bei dem IT Outsourcing hauptsächlich um eine indisch amerikanische Beziehung handelt.

Beispielsweise waren zwischenzeitlich 70’000 indische Wipro Mitarbeiter (zum Beispiel im Jahr 2012) temporär in den USA beschäftigt.

Für jeden Mitarbeiter in den USA gibt es meistens auch Teams auf dem Subkontinent. So kommt man sehr einfach auf die Zahl 140’000 Mitarbeiter bei Wipro.

Ähnlich verhält es sich bei Tata Consultancy Services. Hier arbeiten insgesamt mehr als 380’000 Mitarbeiter.

Der Hauptfokus war jeweils immer die USA.

Wie diese Unternehmen funktionieren – Das Bench-Modell

Wer verstehen möchte wie Tata Consultancy Services und Co. arbeiten, muss zum Teil auch das sogenannte Bench-Modell verstehen.

Bench – ist das Englische Wort für Bank.

Das typische indische IT Unternehmen hat zu fast jedem Zeitpunkt fast 20 Prozent der Belegschaft auf der sogenannten Bank sitzen!

Diese Mitarbeiter warten jeweils auf ihren Projekteinsatz. Das System wurde von den grossen IT Unternehmen wie Infosys, Wipro, Tata Consultancy Services (TCS) zum Teil miterfunden.

Die Idee ist es, immer genug Mitarbeiter zu haben, die man auf kommende Projekte abstellen kann.

Man überlege sich nur mal, bei 385’000 Mitarbeitern bei TCS sind zirka 77’000 Mitarbeiter frei und ohne wirkliche Arbeit!

Das bedeutet aber auch, dass wenn zum Beispiel eine grosse Bank in den USA sagt: “Wir brauchen 30’000 Entwickler welche für uns in den nächsten 3 Jahren ein neues Banking-System bauen”. Dann sagt TCS: “Ja, wir haben gerade 30’000 Mitarbeiter welche wir sofort einsetzen können”.

Es ist klar, dass es sich für die amerikanische Bank eher lohnt über TCS einzustellen, als Monate und Jahre zu verbringen um die notwendigen Mitarbeiter einzustellen.

Wie funktioniert das Bench-Modell im genauen?

Wie aber kann das funktionieren? 77’000 Mitarbeiter ohne wirkliche Arbeit im Unternehmen zu halten? Macht das Sinn?

Um diese Herausforderung zu lösen gehen indische IT Unternehmen folgendermassen vor:

1) Direkt von der Universität einstellen

Einstiegsgehälter sind bei Universitätsabsolventen in Indien vernachlässigbar. Zirka 200 bis 300 Euro sind im Monat ausreichend.

Dabei achten Unternehmen wie Infosys oder TCS darauf, nur die Besten der Besten einzustellen.

Sie gehen zu den besten Universitäten des Landes und rekrutieren von dort. Dies nennt sich auch “Campus Placement” oder “Campus Recruitment”.

Im Endeffekt heisst das, dass fast alle Absolventen oder Studenten im letzten Jahr Ihrer Ausbildung an der jeweiligen Hochschule an diesen Tests teilnehmen. Das sind dann gerne mal 500 und mehr Studenten die auf einmal teilnehmen. Aus diesen 500 werden dann vielleicht die 5 oder 10 besten herausgesucht.

Wenn man das relativ zeitgleich bei mehreren Hundert Universitäten und Colleges wiederholt, dann kommt man schnell auf die mehreren Tausend Personen, welche man monatlich einstellen muss, um dem Markt gerecht zu werden.

2) Training für 6 bis 12 Monate

Nun kommt die nächste Phase.

Hier bekommen die neuen Mitarbeiter, welche frisch von der Uni kommen, ein Training über 6 bis 12 Monate.

Danach sind sie fertig und können in Projekten platziert werden.

3) Der Bench-Sale Mitarbeiter

Jetzt geht es noch einen Schritt weiter.

Es gibt Vertriebsmitarbeiter in diesen Unternehmen, welchen Job es ausschliesslich ist, die Mitarbeiter auf der Bank zu “verkaufen”.

Dann werden gerne mal 100 oder 500 Mitarbeiter auf einen Schlag für mehrere Monate oder Jahre bei bestehenden oder neuen Kunden platziert.

Das komplette Outsourcing der IT eines Konzerns

Ein anderes beliebtes Geschäftsmodell ist die Übernahme der kompletten IT eines Konzerns.

Ein Versicherungsunternehmen möchte eventuell nicht die IT selbst betreuen, da es keine Kernkompetenz ist.

So entscheiden sich viele Unternehmen ihre IT komplett an indische IT Unternehmen auszulagern. Auch viele Unternehmen aus Deutschland machen von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Nicht selten kommt es heutzutage vor, dass man in die IT Abteilung eines Amerikanischen, Schweizerischen oder einer amerikanischen Konzernniederlassung in Deutschland geht, um dort nur indische Gesichter anzutreffen.

Dabei handelt es sich jedoch auch oft um Second Level und Third Level Support, also eher einfache Aufgaben. Software installieren, Server Wartung, etc., etc.

Wie komplex sind die Aufgaben in einem solchen grossen IT Unternehmen

Lange Zeit ging es wirklich nur darum, die einfachsten Aufgaben herunterzuprogrammieren.

Oder eben einen einfachen Support im Bereich IT bereitzustellen.

Die Aufgaben hatten daher eine eher geringe Komplexität.

Braucht es für solche Aufgaben wirklich sehr gute Hochschulabsolventen?

Man mag sich nun wundern, warum man für solche Tätigkeiten die Besten der Besten Hochschulabsolventen benötigt.

Die Realität ist, dass die Qualität insgesamt im Hochschulsektor auf dem Subkontinent eher gering ist. Daher braucht man eben die Besten der Besten, um einen guten Durschnitt zu erreichen.

Gleichzeitig haben grosse IT Unternehmen die Wahl. Es gibt viele Bewerber, warum sollte man sich dann mit “irgendjemandem” zufrieden stellen, wenn man auch die Besten aus dieser Gruppe haben kann.

Wertewandel in der indischen IT Industrie

Die indischen Computergrössen verstehen langsam, dass es Zeit wird in Bereiche zu wechseln die höher in der Wertschöpfung sind.

Das reine “Bodyshopping” wie es die meisten der Firmen anbieten wird es so eventuell nicht mehr geben, denn die einfachen Aufgaben wie Third Level Support oder Testing können höchstwahrscheinlich bald von automatisierter Software oder Automatisierungswerkzeugen übernommen werden.

Immer mehr versuchen daher die Grossen der Branche, wie Infosys oder TCS, in neue Bereiche vorzudringen, wie zum Beispiel Softwareproduktentwicklung und Vermarktung.

Es gibt zwar das Wissen, dass ein Wertewandel zu höherwertigen Dienstleistungen besteht, dennoch: der Wandel verläuft nur schleppend. Zu sehr ist man auf das alte Modell eingespielt.

Kleine Lichtblicke

Man sieht jedoch immer mehr, dass solche Firmen auf immer qualifiziertere Mitarbeiter mit vielen Jahren Berufserfahrung setzen, anstatt wie bisher überwiegend auf Hochschulabsolventen.

Besonders Infosys versucht hier ein Vorreiter zu sein. (Aber auch bei Infosys stossen allzu innovative Gedanken auf Wiederstand. Gerade erst kürzlich haben die Gründer, welche im Aufsichtsrat sitzen, Vishal Sikka des Amtes als CEO enthoben. Er hatte zwar tolle Ideen. Hören wollte man darauf jedoch nicht. Dabei war er davor einer der Hauptinnovatoren bei SAP)

Eher mittelgrosse IT Firmen wie MindTree (mehr als 16’000 Mitarbeiter) sind in der Lage einen Kulturwandel zu vollziehen. Die Grossen haben es eher schwer.

Wie interessant sind Jobs bei solchen Firmen?

Für die Hochschulabsolventen ist es natürlich spannend in einem top modernen Bürokomplex mit anderen hochmotivierten Personen zu arbeiten.

Mit der Arbeitgebermarke kann man auch bei älteren Personen oder auf dem Heiratsmarkt punkten (dies sollte man in Indien nicht unterbewerten, speziell bei jüngeren Personen. Bei älteren ist das dann nicht mehr so ausgeprägt).

Die Gehälter sind vergleichsweise gering. Jedoch hoch wenn man diese mit anderen Einstiegsmöglichkeiten in anderen Branchen vergleicht.

Die Jobs sind zudem meistens in Metropolen wie Bangalore, Delhi oder Hyderabad, wo die Lebenshaltungskosten sehr hoch sind. Von dem Geld was man im Monat verdient bleibt also meistens nichts übrig und man wohnt meistens in Wohngemeinschaften (WG’s).

Auch der Verkehr in solchen Metropolen ist fast schon schrecklich. Ein Mitarbeiter verbringt nicht selten mehr als 3 oder 4 Stunden pro Tag im Stau/ auf dem Weg zur Arbeit.

Gleichzeitig landen viele erstmal auf der “Bench” nach dem Training. Niemand mag wirklich ohne Beschäftigung in das Büro kommen und einfach nur warten. Gleichzeitig wird die Stelle auch unsicherer wenn man längere Zeit auf der Bank sitzt und nicht vermittelt werden kann (zum Beispiel aufgrund von mangelnder Aufträge).

Aber wie schon erwähnt, ein toller Einstieg, ein interessantes Training und ein tolles Büro, übermalen diese eher nicht so tollen Punkte.

Die Realität ist also eher, dass solche Jobs einfach eine bessere Alternative zum dortigen Arbeitsmarkt sind. Im Vergleich zum europäischen Hochschulabsolventeneinstieg sind die Angebote aber nicht so attraktiv.

Welche Fähigkeiten erlangen Personen die in solchen Unternehmen arbeiten?

Viele Hochschulabsolventen die dort einsteigen werden in Support-Rollen eingeplant. Gute Beispiele sind die bereits erwähnten Punkte Testing, Second Level Support, Third Level Support, einfache Aufgaben im IT Support der übernommen IT Tätigkeiten (Outsourcing IT Abteilung).

Klar ist auch, dass man in solchen Tätigkeiten nicht zum Experten weitergebildet wird, sondern dass es sich meistens um repetitive einfache Aufgaben handelt.

Diese Aufgaben könnte im Normalfall auch jemand mit einer einfachen Ausbildung erledigen.

Nur wenige kommen in wirklich interessante Projekte. Dazu gehören Implementierungen von ERP Systemen in Kundenunternehmen oder die Entwicklung von eigenen Produkten (eher gering in solchen IT Riesen).

Es gibt zirka 30 bis 40 Prozent der Belegschaft, welche an Dienstleistungen arbeiten, welche eine Weiterbildung/ Expertenwissen benötigen. Die anderen 60 bis 70 Prozent gehen nur einfachen Tätigkeiten nach.

Sehr arbeitsteilige Vorgehensweise

Wie auch in einer grossen Fabrik, sind die Aufgaben oftmals sehr kleinteilig.

Anstatt einen ganzen Überblick zu bekommen, gibt es Spezialisten für einzelne Teilbereiche.

So gibt es dann ein Team an UX/UI Entwicklern, ein Team an Datenbank Spezialisten, ein Team an Frontendentwicklern, ein Team an Backendentwicklern, ein Team an Testern, mehrere Projekt-Manager und noch viele weitere Rollen.

Spezialisten, welche den kompletten Umfang an Technologien (Frontend, Backend, Datenbank, Testing, etc.) erlernen ist eher gering.

Sind solche Mitarbeiter geeignet für kleinere Unternehmen?

Bei kleineren IT Dienstleistern sind die Aufgaben meistens nicht ganz so kleinteilig. Zumindest nicht bei kleineren Dienstleistern in Europa. Dort kann ein Mitarbeiter meistens ein grosses Spektrum an Dingen abdecken.

Auf dem Subkontinent haben sich viele kleinere Dienstleister darauf eingestellt, dass man zum Beispiel auch einen separaten Frontend und Backendentwickler benötigt und dies nicht ein und dieselbe Person macht.

Für kleinere Unternehmen sind solche Mitarbeiter aus grossen Konzernen also nur interessant, wenn diese Fachübergreifend gearbeitet haben und Einblicke in viele Bereiche erhalten haben.

Solche Mitarbeiter, mit breitem Wissen, lassen sich jedoch eher in kleinen (1 bis 50 Mitarbeiter) bis mittelgrossen indischen IT Unternehmen (51 – 500 Mitarbeiter) finden.

Daher: Wenn man von grösseren Unternehmen IT Mitarbeiter einstellt, sollte man prüfen, inwiefern diese in ein kleines Team passen, wo man meistens viele Hüte (Backend, Frontend, Design, Datenbank, Projektmanagement, Testing, etc.) tragen sollte.

Fazit

Das Geschäftsmodell indischer IT Riesen war lange Zeit erfolgreich. Heutzutage arbeiten mehr als 4 Millionen Menschen in der dortigen IT Industrie.

Die Hauptarbeit sind immer noch einfache Tätigkeiten wie Support oder Testing. In den letzten Jahren hat sich das zunehmend geändert und ein nicht geringer Teil arbeitet an der Entwicklung von Innovationen, beziehungsweise helfen in Form von Dienstleistungen deren Grosskunden diese zu entwickeln.

Besonders in der heutigen Zeit der Digitalisierung sind IT Dienstleistungen gefragter denn je. Der Subkontinent bietet eine gute Destination um an gefragte IT Experten zu kommen.

Gleichzeitig sollte man abwägen, welchen Typen von Entwickler man benötigt, eher jemanden der viele Hüte tragen kann, oder doch lieber einen Experten in einem Teilbereich (zum Beispiel ein Datenbank Experte). Im ersten Fall sollte man sich für Mitarbeiter von kleineren bis mittelgrossen Unternehmen entscheiden, im letzteren Fall können Mitarbeiter von den IT Riesen eine gute Möglichkeit sein.

Was sind Ihre Erfahrungen?

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Bilder: Flickr.com/ gdsteam/ bluesbby/ Hillary


Der Autor: Sascha Thattil arbeitet bei YUHIRO und hilft Unternehmern und Unternehmen beim einfachen Aufbau von Programmier-Teams in Indien. YUHIRO ist ein deutsch-indisches Unternehmen welches IT Firmen, Agenturen und IT Abteilungen Softwareentwickler bereitstellt.

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