Home Office bei indischen Mitarbeitern: Passt das zusammen?

In Deutschland ist Home Office ein immer stärker werdendes Thema. Besonders Agenturen scheinen hier auf ein offenes Ohr zu stossen.

Hier beispielsweise ein Beitrag der Agentur vibrio, welches das Unternehmen fast komplett auf eine virtuelle Zusammenarbeit umstellt, wobei die meisten Mitarbeiter von Zuhause arbeiten und sich nur ab und zu in Büroräumlichkeiten treffen.

Doch inwiefern kann man solch ein Vorhaben bei indischen Mitarbeitern umsetzen? Dieser Frage gehen wir in diesem Beitrag nach.

Einführung

Bei der Idee zur Arbeit von Zuhause geht es darum, dass die meisten Menschen sowieso nicht 8 Stunden durcharbeiten können. Meistens gibt es Stosszeiten, zum Beispiel morgens von 8:00 Uhr bis 11:00 Uhr und 19:00 Uhr bis 21:00 Uhr in welcher der Grossteil der Arbeit erledigt wird.

Dazwischen fällt es den meisten Personen schwer konzentriert zu arbeiten. Meistens liegt es auch an “Unterbrechungen”, wie zum Beispiel Meetings, Kollegen die sich unterhalten, ein Mitarbeiter dessen Telefon klingelt und so den Arbeitsrhythmus stört, etc., etc.

Ein weiterer grosser Vorteil der Arbeit von Zuhause ist, dass man nicht zur Arbeitsstelle fahren muss. Mann kann sich hier locker 2 bis 3 Stunden pro Tag sparen. Denn die meisten müssen sich Duschen, Frühstücken, Kleidung aussuchen, Bügeln, zur Bahn/ Buss radeln, dann auf den Bahn/ Buss warten, etc., etc. So kommt man leicht auf die genannten 2 bis 3 Stunden Aufwand am Tag.

Arbeitet man im Home Office erspart man sich das Ganze. Man setzt sich morgens einfach im Schlafanzug an den Rechner und die Arbeit kann beginnen. Zeitaufwand: 1 bis 2 Minuten, je nachdem wie lange der Rechner zum hochfahren benötigt.

Gleichzeitig sinken die Kosten für das Reisen zur Arbeitsstelle, das Waschen der Kleidung, das Kaufen von teurer Arbeitbekleidung (man möchte ja nicht als “billig” den Kollegen gegenüber vorkommen) für den Mitarbeiter. Die Kosten für Strom-, Internet- und Kaffeeverbrauch steigen hingegen. Das umgekehrte gilt für die beschäftigende Firma. Hier sinken die Kosten für Strom, Arbeitsplatz, etc.

Unterschied Indien und Deutschland

Obwohl sich vieles bereits angeglichen hat, gibt es in Indien einige Unterschiede zu Deutschland, welche ein solches Home Office vorhaben auf dem Subkontinent sehr stark erschweren.

Man muss ich den folgenden unterschiedlichen Punkten auseinandersetzen.

Ehrlichkeit

In Deutschland gilt der Satz “Wer einmal lügt, der lügt immer”. Daher sind die meisten Menschen, besonders Angestellte bemüht die Wahrheit weiterzugeben. Auch weil eine Unehrlichkeit von anderen sehr schnell geahndet wird.

Sehr wichtig – Die indische Sichtweise dazu möchte ich hier auch aufzeigen. Dennoch vorab folgendes: Die Aussagen, beziehungsweise das Geschriebene, nicht falsch verstehen. Auch in Indien ist Ehrlichkeit sehr wichtig. Die Rahmenbedingungen hierfür müssen jedoch gegeben sein – Sehr wichtig

Auf dem Subkontinent gibt es mehr als eine Milliarde Menschen (zirka 1’300’000’000 Personen um etwas genauer zu sein und das Ganze ein wenig zu visualisieren).

Der Konkurrenzkampf zwischen diesen vielen Millionen Menschen ist gross. Gleichzeitig gibt es eine sogenannte “Chalta Hai”/ “Anything Goes” Attitüde in Indien. Diese ist vielen Europäern unbekannt.

Einige Beispiele dieser “Chalta Hai” Einstellung:

Das Meeting ist um 10:00 Uhr. Die Denkweise ist dann: “OK, dann gehe ich mal so zirka um 10:30 Uhr oder so dorthin”.

Oder “Die wollten mir keinen Studienplatz geben, da habe ich denen ein wenig Bestechungsgeld gezahlt”.

Oder “Die Arbeit soll bis Montag fertig sein. Mal schauen, vielleicht schaffe ich das bis Montag. Mittwoch ist sicherlich auch ok”.

Der Mix aus Konkurrenzkampf und “Chalta Hai” Einstellung verschärft die Situation noch etwas. Gerne wird daher hier und da “Geschummelt” um vorwärts zu kommen.

Nicht falsch verstehen

Wichtig ist, dies nicht falsch zu verstehen. Es gibt zwar diese Einstellung zur Arbeit in Indien. Dennoch spielen Faktoren wie Erziehung im Elternhaus und ähnliche eine Rolle.

Auch ändert sich diese Auffassung mit steigender Berufserfahrung. Besonders wenn mit Unternehmen aus Europa/ Amerika zusammengearbeitet wird, wo diese Verhaltensweise nicht wirklich akzeptiert ist.

Die richtige Umgebung schaffen

Um dieser “Chalta Hai” Einstellung entgegenzuwirken, muss das Management vor Ort in Indien entsprechend handeln. Beispielsweise muss man eine ehrliche Arbeitsweise erwarten und diese auch so “leben”.

Wenn die Mitarbeiter sehen dass das Management das macht, was es predigt, dann geschieht mit der Zeit auch ein Umdenken bei den Angestellten.

Gerade dieses “Vorleben” ist nur innerhalb der Büroräumlichkeiten möglich. Wenn man Zuhause arbeitet, kann der Manager darauf keinen Einfluss nehmen.

Menschlicher Zusammenhalt, ständiger Austausch

In Indien gibt es zudem eine starke Unterscheidung zwischen “Fremden” und “Bekannten/ Freunden”.

Wenn man mit dem Mitarbeiter nicht ständigen menschlichen Kontakt hat und im ständigen Austausch steht, kann dieses “Nähe-Gefühl” verloren gehen. Auch die “Chalta Hai” Attitüde verstärkt sich dadurch.

Auch dies bedingt eine Zusammenarbeit in einem Büro.

Herausforderung: Internetverbindung und Stromversorgung

In Deutschland ist es normal, dass der Strom oder das Internet ununterbrochen verfügbar ist.

Dies ist jedoch in Indien nicht der Fall. Täglich fällt der Strom mehrmals aus. Das Gleiche beim Internet. Dabei fällt der Strom und das Internet nicht zu der gleichen Zeit aus, sondern dies geschieht unabhängig voneinander.

So kann es sein, dass vier Stunden am morgen der Strom fehlt und am ganzen Nachmittag das Internet.

Eine Stromüberbrückung ist sehr teuer und kann meistens nur in Bürogebäuden gewährleistet werden. Hier gibt es dann riesige Generatoren, welche auf Petrol/ Diesel laufen und auch Überbrückungsbatterien, welche den Strom kurzfristig (bevor der Generator einsetzt) aufrechterhalten. Der Stromgenerator selbst braucht oftmals eine Person, welcher diesen manuell ein- und ausschaltet.

Das Internet ist in etwa genau so komplex in der Handhabe wie die Stromversorgung, zumindest wenn man eine flüssige Verbindung sicherstellen will.

Beispielsweise bieten die Internetanbieter, Standleitungen an, bei welchem es eine Garantie auf die Versorgung gibt. Solche Standleitungen kosten von wenigen hundert Euro bis mehrere Tausend Euro im Monat. Gleichzeitig werden diese Art von Internetverbindung meistens nur in Industriegebieten/ Orten mit vielen Unternehmen bereitgestellt.

Jedoch wird auch eine solche Internetverbindung von Zeit zu Zeit abbrechen und daher braucht man hier Backup Verbindungen. Einen flüssigen Übergang von der einen zur anderen (wenn die eine abbricht) kann man jedoch nur durch eine gute Firewall sicherstellen. Eine solche Firewall kann mehrere Tausend Euro in der Anschaffung kosten.

Diese ganzen Anschaffungen und Vorkehrungen für jeden einzelnen Home Office Arbeitsplatz vorzunehmen ist kostentechnisch nicht ideal oder zum Teil nicht machbar (im Falle der Standleitung, aus Gründen der Verfügbarkeit).

Indische Kultur: Junge Leute die Zuhause sitzen müssen bei allem anpacken

Würde man es dennoch irgendwie schaffen die technische Infrastruktur Zuhause bei dem Mitarbeiter zu schaffen, hat man jedoch mit anderen Herausforderungen zu kämpfen.

Indische Familien sind meistens gross. Viele ältere Personen, Kleinkinder und Frauen (oftmals auch schwanger) halten sich in den Häusern auf. Sollte jemand krank werden oder Hilfe benötigen, dann wird sich an die nächste “frei” erscheinende männliche Person gewannt.

Wenn jetzt ein Familienmitglied Mitte 20 oder Mitte 30 Zuhause (der indische Mitarbeiter) sitzt, dann wird diese Person mit fast jeder Aufgabe betraut. “Nein” sagen geht nicht, besonders wenn es um familiäre Dinge geht und auch weil in Indien die Familie vor allem steht, auch vor der Arbeit.

Ein Arbeiten in den eigenen Räumlichkeiten wird hier fast unmöglich, zumindest wenn man sich an die sozialen Gegebenheiten hält.

Das indische Arbeitsrecht

Ein weiterer Punkt welches die Arbeit von Zuhause in Indien erschwert, ist das indische Arbeitsrecht.

In Deutschland wird das Arbeitsrecht den neuen Gegebenheiten, wie Home Office, stets angepasst.

In Indien dagegen, wurde das Arbeitsrecht zum Teil seit den 50er Jahren nicht mehr verändert.

Dies bringt auch grosse Herausforderungen für Arbeitgeber mit sich, welche diese Option anbieten wollen.

Beispielsweise müssen eine Muster Roll (Anwesenheitsregister), welche am besten täglich vom Arbeitnehmer unterschrieben werden sollte und ein Wage Register, welches monatlich einmal unterschrieben werden muss, im Büro in Buchform geführt werden.

Dass heisst der Mitarbeiter müsste, laut indischem Arbeitsgesetz, täglich zur Arbeit fahren, nur um die Unterschrift, für die Anwesenheit, zu leisten.

Man könnte dieses Gesetz zwar missachten. Sobald es jedoch zu einer kleinen Streitigkeit mit dem Mitarbeiter kommt, wird die Frage nach der Anwesenheit von den zuständigen Stellen gestellt.

Fazit

Zum einen muss man eine Kultur der Ehrlichkeit und hoher Integrität erschaffen. Dies schafft man nur, in dem man dem indischen Mitarbeiter vor Ort in den Büroräumlichkeiten vorlebt, was dies bedeutet. Auch Mitarbeiter untereinander können voneinander in diesem Bereich lernen.

Das Erarbeiten einer starken Unternehmenkultur wirkt auch der indischen “Chalta Hai” Attitüde entgegen. Besonders bei jüngeren Mitarbeitern ist das ein Thema. Mit älteren Mitarbeitern muss man stetig in Kontakt bleiben, so diese nicht in alte Muster zurück fallen. Dabei kann auch eine abgeschwächte Form von “Peer Pressure” ein Mittel sein. Zum Beispiel wenn zwei Kollegen zusammenarbeiten, dann achten beide aufeinander, dass man sich an die “Regeln” hält.

Daneben stellt die indische Infrastruktur eine Herausforderung dar. Besonders die Stromversorgung und das Internet sind Dinge, welche sich im indischen Zuhause nicht wirklich kostengünstig bereitstellen lassen.

Die indische Familienkultur erschwert ein Home Office dahingehend, dass man immer wieder nach Gefälligkeiten gefragt wird. Einmal muss die Oma in das Krankenhaus gebracht werden, dass andere Mal muss man das Kind der Schwester zur Schule bringen, etc. Ein “Nein” sagen verbietet die indische Zuvorkömmlichkeit und die Wichtigkeit der Familie.

Der letztendliche Schlussstrich kommt dann von der Gesetzgebung auf dem Subkontinent, welches die Form “Home Office” nicht kennt und auf eine formal richtige Führung von Anwesenheitsdokumenten setzt. Inspektionen von der Polizei, dem Arbeitsamt und anderen Behörden kommen hier erschwerend hinzu.

Wie man Professionalität in Indien sicherstellt

Ein professionelles Arbeiten ist daher eigentlich nur in Büroräumlichkeiten möglich, in denen Strom und Internet durchgehend vorhanden sind, eine gute Arbeitskultur vorgelebt wird, in denen die rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden, der Mitarbeiter sich als Teil eines Teams wahrnimmt und vor allzuvielen Ablenkungen abgeschirmt ist.

Bilder: Flickr.com/ Kippe/ Pamplona/ Cridland


Der Autor: Sascha Thattil arbeitet bei YUHIRO und hilft Unternehmern und Unternehmen beim einfachen Aufbau von Programmier-Teams in Indien. YUHIRO ist ein deutsch-indisches Unternehmen welches IT Firmen, Agenturen und IT Abteilungen Softwareentwickler bereitstellt.

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